Annette Mierswa: Instagirl
Von Bettina Wild und Julia Sander
Inhalt
Eigentlich hat Isi ein schönes Leben, sie ist Teil einer tollen Klassengemeinschaft und Clique. Wären da nicht sie ständigen Streitereien ihrer Eltern. Als diese ihr eröffnen, dass der Vater die Familie verlässt, bricht für Isi eine Welt zusammen.
Unterstützung erhält sie aus unerwarteter Richtung: Von ihrer neuen Mitschülerin Kim, der immer topp gestylten „Erscheinung“. Von Kim lernt Isi, sich zu stylen und ihre Selfies für Instagram publikumswirksam zu bearbeiten.
Aus Isi wird Easy. Doch der neue Name entpuppt sich als Fake, denn während sie auf Instagram immer mehr Likes sammelt, gerät Isi in eine gefährliche Abwärtsspirale emotionaler Abhängigkeit von Kim, die sie mit ihren Schönheitstipps in die Magersucht treibt. Am Ende kann sie nur die echte Freundschaft ihrer Clique retten.
Fachwissenschaftliche Überlegungen
Wer bin ich? Wie sehe ich mich selbst? Wer definiert, wer ich bin? Wie sehen mich die Anderen? Und wie sollen mich die Anderen sehen? Schon immer kreisen die Gedanken von Jugendlichen um diese Fragen. Um wie viel komplexer die Beantwortung dieser Fragen durch die scheinbar alles bestimmenden sozialen Medien geworden ist, inszeniert der Jugendroman „Instagirl“ von Annette Mierswa sehr eindrücklich.
Mit Isi (Isabelle) wird eine junge Frau präsentiert, die sich durch die Trennung ihrer Eltern in einer emotionalen Ausnahmesituation befindet und die nun das Gefühl hat, dass sich alles und jeder gegen sie wendet, selbst ihr alter Kumpel Matteo, für den sie seit kurzem zärtliche Gefühle entwickelt hat. Komplett aus der Perspektive Isis geschildert, verführt der Roman zunächst dazu, Isi tatsächlich als Opfer der skrupellosen Kim zu sehen, die, wie es im Text heißt, immer einen „Twin“ braucht, den sie mit in den Abgrund ihrer Einsamkeit ziehen kann. Auf dieser Oberfläche verhandelt der Jugendroman damit das Thema der Manipulation vermeintlich Schwächerer durch emotionale Abhängigkeit, kombiniert mit dem Thema des gefährlichen Sogs sozialer Medien, in denen einem Like von Unbekannten ein völlig überzogener Wert zugesprochen wird.
Löst man sich jedoch von Isis Sicht, so erkennt man, dass ihr Verhalten einem emotionalen Amoklauf gleicht, mit dem sie alle, die ihr nahestehen, verletzt, und mit dem sie alles, was ihr lieb ist, zerstört.
Ja, genau das wollte ich, eine Neugeburt. Und zwar eine aufsehenerregende, schockierende Neugeburt, die granatenmäßig
in unsere Straße einschlagen und einen tiefen Krater sprengen sollte. Krawumm! (S. 29)
Die tiefere Thematik des Jugendromans ist damit komplexer; es wird die Frage aufgeworfen, ob unsere Gesellschaft von zunehmenden Egoismus geprägt ist, in dem das Ich und die möglichst umgehende Befriedigung eigener Bedürfnisse im Vordergrund zu stehen scheinen, während die Bedürfnisse des Gegenübers kaum noch gesehen werden; so ist Kims selbstzerstörerisches Verhalten, bei dem sie Isi mit in den Abgrund zieht, lediglich die Steigerung von Isis Verhalten, die genauso ohne jegliche Rücksicht auf Andere handelt. Dem steht die (fast übertrieben inszenierte) intakte Klassengemeinschaft gegenüber, die Isi (nicht aber Kim) am Ende rettet.
Dem Roman sind zwei Zitate vorangestellt: Dem Ausspruch Rudolf Steiners „Frei ist der Mensch, der in jedem Augenblick seines Lebens sich selbst zu folgen in der Lage ist.“ folgt die Aussage der Romanfigur und besten Freundin Isis Yara „Wir sind unsere Follower.“ Das Wir ist die Klassengemeinschaft, die wie ein solidarisches Gemeinwesen zu agieren scheint. Dieser Solidarität der Klasse wiederum scheint der egoistische Anspruch Kims auf alleinige Macht über Isi entgegen zu stehen. Mit der ‚Gefolgschaft‘ Kims bricht Isi aus der Solidargemeinschaft der Klasse aus und erkämpft sich eine scheinbare Freiheit, die sie allerdings durch das Einlassen auf Kims krankhaften Schönheitswahn in neue Abhängigkeiten führt. Der Jugendroman inszeniert damit den Topos vom Spannungsverhältnis zwischen den Ansprüchen des Individuums auf Selbstbestimmung einerseits und den Ansprüchen der Gesellschaft gegenüber dem Individuum nach sozialer Teilhabe andererseits. Denn wie frei ist der Mensch, der nicht (nur) sich selbst, sondern dem Kollektiv eines Wir folgt? Doch ist es überhaupt möglich und legitim, (nur) sich selbst zu folgen? Wie sehr werden damit die Freiheiten der Anderen eingeschränkt? Und welche Unfreiheiten ergeben sich aus der Zugehörigkeit zum Wir eines Kollektivs, das solidarisch zu den eigenen Mitgliedern steht, andere, die sich nicht integrieren, nicht ‚folgen‘ können oder wollen, aber konsequent ausschließt? „Instagirl“ lädt dazu ein, über diese Fragen nachzudenken.
Didaktische Überlegungen
Dass der Jugendroman hohes Potential bietet, über das eigene Verhalten in und im Umgang mit sozialen Medien zu reflektieren, liegt auf der Hand (vgl. dazu auch die vom Verlag bereitgestellten Unterrichtsmaterialien). Freilich begibt man sich damit in der Unterrichtspraxis auf eine Gradwanderung zwischen verallgemeinernder Moralisierung auf der einen und übergriffiger Thematisierung privaten Handelns auf der anderen Seite.
Es scheint daher sinnvoll, die erzählerischen Besonderheiten des Jugendromans zu nutzen und aus der Analyse der Figuren, ihrer Handlungen und der zugrundeliegenden Motivik, ein Gespräch darüber entstehen zu lassen, welche (außer)literarischen Bezüge sich ausgehend von den Figuren und ihrem Verhalten ergeben.
So stellt in literarischer Hinsicht die starke Perspektivierung des Erzählten eine besondere Herausforderung dar. Diese sollte im Unterricht zunächst analysiert werden, um so eine neue und breitere Sicht auf das Erzählte und seine gesellschaftspolitischen Implikationen zu erhalten.
In diesem Sinne können die verschiedenen ‚Realitäten‘, die sich die Figuren aufgebaut haben, zunächst nachvollzogen und dann als Konstruktionen befragt werden. Fällt dies im Falle von Kim noch relativ leicht, werden deren Lügen über ihre schwere Kindheit doch im Roman selbst entlarvt, so ist die Entlarvung von Isis Selbstsucht und die Widerlegung ihrer ‚Alle-Welt-ist-gegen-mich-und-deswegen-muss-ich-mich-neu-erfinden‘-Attitüde schon herausfordernder und bedarf sicherlich der Anleitung und Unterstützung.
Schließlich bietet es im Sinne der Reflexion (a)sozialen Verhaltens menschlichen Miteinanders an, Isis und insbesondere ihrer Klasse Verhalten gegenüber Kim genauer zu betrachten. Dabei kann zunächst die Figur Kim noch aus der Perspektive Isis charakterisiert werden, darüber hinaus aber schon Fragen gestellt werden, die sich die Ich-Erzählerin seltsamerweise nie stellt (etwa „Warum desinfiziert sich Kim immer die Hände?“ / „Warum lässt sich Isi immer mit zwielichtigen Typen ein?“). Dies sollte überleiten in die Betrachtung des Erzählten aus der Perspektive Kims, um schließlich wieder zu Isi zurückzukehren und die Frage zu stellen, ob Isi Kim helfen kann oder gar muss – und wenn ja, wie. Dies kann letztlich inhaltlich in die Diskussion der Frage münden, wer hier eigentlich wen ausgenutzt und gemobbt hat, und damit in die Erkenntnis, dass weder in der Literatur, noch im Internet und ganz sicher nicht im ‚wahren Leben‘ ‚gut‘ und ‚böse‘ immer klar voneinander zu trennen sind.
Davon ausgehend kann gemeinsam mit den SuS herausgearbeitet werden, dass der Roman nach erster Lektüre durchaus Klischees über das Verhältnis von realen und virtuellen Welten zu reproduzieren scheint, diese aber bei kritischer (Re)Lektüre z.T. zumindest in Frage gestellt werden. Die oben genannten Themen im Feld „soziale Medien“ erhalten damit bei kritischer Lektüre jeweils unterschiedliche Facetten. Anhand folgender Punkte etwa kann die Vielschichtigkeit des Romans aufgezeigt werden: Der Scheinwelt des Internets wird die echte Solidarität der Klassengemeinschaft entgegenstellt; so könnte man die ‚Botschaft‘ des Romans zumindest lesen. Schaut man jedoch genauer hin, zeigt das Schicksal Kims, dass die Realität genauso herzlos und kalt sein kann, wie es die Virtualität zu sein scheint. So wird dem Klischee der fehlenden Verantwortlichkeiten in sozialen Netzwerken mit Kims Familiengeschichte das Thema der Wohlstandsvernachlässigung gegenübergestellt. Parallel zur Problematisierung der medialen Strukturen von „Followern“, von „Likes“ als „Währung des Internets“ und vom Zwang, Mitglied in sozialen Medien zu sein, wenn man ‚teilhaben‘ will, wird das Sozialgefüge der Klasse als ebenfalls problematisch inszeniert, indem nur für diejenigen Verantwortung übernommen wird, die dazugehören wollen, können oder dürfen und sich entsprechend verhalten. In Fragen von Freiheiten der Anonymität und neuer digitaler Identitäten inszeniert der Roman schließlich die Gefahren, die dann entstehen, wenn das Spiel mit anderen Identitäten in die Realität übertragen wird und damit die Freiheit der Anonymität Gefahr läuft ins Gegenteil gekehrt zu werden.
Kommentar zu „Instagirl“
von Carolin Boldt, JUUUPORT-Scout
https://www.juuuport.de/beratung
Seit fünf Jahren bin ich Scout bei JUUUPORT, einer Online-Beratungsplattform von Jugendlichen für Jugendliche, die von Cybermobbing betroffen sind. Besonders in den letzten Jahren wurden JUUUPORT und ich als Scout immer mehr mit Anfragen über Schönheitsideale und dem Wunsch nach dem perfekten Instagram-Auftritt konfrontiert, meist in Kombination mit Cybermobbing. Dieses Thema gewinnt in der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung und stellt besonders bei Jugendlichen einen großen Teil der Lebensrealität dar. Dass diese Entwicklung nicht wirklich positiv ist und insbesondere, aber nicht nur, bei jungen Mädchen zu weitreichenden psychischen Folgen führen kann, wird meistens eher ignoriert – auf Instagram sogar toleriert und durch Algorithmen unterstützt.
Das Buch „Instagirl“ gibt dabei die erschreckende Realität sehr gut wieder und auch das, was wir in unserer Beratung erfahren, auch wenn dies zum Teil außerhalb unserer Beratungsthemen liegt. Likes und Schönheitswahn sind unumgänglich geworden als Thema, das Jugendliche beschäftigt und prägt. Das Buch besitzt eine schöne Botschaft „Sei du selbst“ und wirft damit Fragen nach reellen Lösungsansätzen für Probleme mit Social Media auf. Eine Problemlösung ist eben nicht getan mit den Worten „Ich höre jetzt auf damit“, da Instagram häufig nicht mehr aus dem Leben weg zu denken ist und für Betroffene ein täglicher Begleiter ist, von dem man sich nicht, wie von einer Person trennen kann.
Ich denke, dass der Inhalt des Buches sensibel gehandhabt werden sollte, für einige ist die Handlung sehr nah an der eigenen Wahrnehmung, in der sie sich verfangen haben. Es werden durchaus ernsthafte psychische Probleme thematisiert, die entsprechend geleitet werden sollten.
Das, was das Buch definitiv bietet, ist ein Anstoß, um mit Jugendlichen über diese Themen zu reden, zu diskutieren und vielleicht gemeinsam Lösungsansätze zu erarbeiten. Wie bei vielen Aspekten rund um Social Media und die Konsequenzen, die häufig folgen wie z.B. Cybermobbing – sind Raum schaffen, um darüber zu reden, die nötigen Informationen und Aufklärung die beste Prävention.
Das Buch „Instagirl“ gibt dabei die erschreckende Realität sehr gut wieder und auch das, was wir in unserer Beratung erfahren, auch wenn dies zum Teil außerhalb unserer Beratungsthemen liegt. Likes und Schönheitswahn sind unumgänglich geworden als Thema, das Jugendliche beschäftigt und prägt. Das Buch besitzt eine schöne Botschaft „Sei du selbst“ und wirft damit Fragen nach reellen Lösungsansätzen für Probleme mit Social Media auf. Eine Problemlösung ist eben nicht getan mit den Worten „Ich höre jetzt auf damit“, da Instagram häufig nicht mehr aus dem Leben weg zu denken ist und für Betroffene ein täglicher Begleiter ist, von dem man sich nicht, wie von einer Person trennen kann.
Ich denke, dass der Inhalt des Buches sensibel gehandhabt werden sollte, für einige ist die Handlung sehr nah an der eigenen Wahrnehmung, in der sie sich verfangen haben. Es werden durchaus ernsthafte psychische Probleme thematisiert, die entsprechend geleitet werden sollten.
Das was das Buch definitiv bietet, ist ein Anstoß, um mit Jugendlichen über diese Themen zu reden, zu diskutieren und vielleicht gemeinsam Lösungsansätze zu erarbeiten. Wie bei vielen Aspekten rund um Social Media und die Konsequenzen, die häufig folgen wie z.B. Cybermobbing – sind Raum schaffen, um darüber zu reden, die nötigen Informationen und Aufklärung die beste Prävention.