Suzanne Collins: Die Tribute von Panem
Von Johanna Elisabeth Risse
Inhalt
Nordamerika in der Zukunft: das Leben von Katniss Everdeen ändert sich schlagartig, als der Name ihrer kleinen Schwester Prim bei der jährlichen Ernte fällt. Um sie zu retten, meldet sich Katniss freiwillig für die 74. Hungerspiele, in denen 24 Jugendliche aus den unterschiedlichen Distrikten des Landes Panem, die sogenannten Tribute, für die Unterhaltung und Machtdemonstration des Kapitols einander bis auf den Tod bekämpfen müssen.
Durch ihre jahrelange Jagderfahrung mit Pfeil und Bogen, geschickte Tricks und schlaue Bündnisse gelingt es Katniss, die meisten Tribute zu überleben. Als die Spielmacher in einer Regeländerung ankündigen, dass erstmals zwei Tribute aus demselben Distrikt gewinnen dürfen, schließt sich Katniss mit Peeta, dem Jungen aus ihrer Heimat, zusammen. Gemeinsam schaffen die beiden es, das grausame Kapitol zu überlisten und die Hungerspiele zu gewinnen.
Fachwissenschaftliche Überlegungen
Panem et circenses – Brot und Spiele: diesen vom römischen Dichter Juvenal geprägte Topos greift „Die Tribute von Panem“ in aller Deutlichkeit auf. Suzanne Collins Roman ist der erste Teil einer dystopischen Trilogie, in der viele gesellschaftlich relevante Themen verhandelt werden, die die Menschen mit Blick auf die Zukunft beschäftigen: Wie werden wir leben? Wie wird unsere Gesellschaft aufgebaut sein? Können wir Demokratie und Frieden erhalten? Inwieweit wird uns der technische Fortschritt beeinflussen und wo setzen wir seinem Einfluss Grenzen? Dürfen Menschen in die Natur eingreifen? All diese Fragen wirft der Jugendroman „Die Tribute von Panem. Tödliche Spiele“ auf fesselnde Weise auf, indem er den LeserInnen einen schrecklichen Zukunftsentwurf präsentiert.
Oberflächlich lässt sich der Roman als Entwicklungs- und Liebesgeschichte lesen. Er wird aus der Sicht der 16-jährigen Protagonistin Katniss Everdeen erzählt, die wegen des frühen Todes ihres Vaters und der Depression ihrer Mutter schon früh dazu gezwungen ist, ihre Familie zu versorgen und Verantwortung für ihre kleine Schwester Prim zu übernehmen. Präsentiert wird eine schlaue, mutige und starke, aber auch trotzige junge Frau, die es immer wieder schafft, sich durchzuschlagen und ihrem Leid die Stirn zu bieten. Diese Eigenschaften und ihre jahrelange Jagderfahrung helfen Katniss in den Hungerspielen, bei denen sie anstelle ihrer Schwester gemeinsam mit ihrem vermeintlichen Liebhaber Peeta Mellark antritt. Die Hungerspiele, ein vom herrschenden Kapitol veranstalteter Wettkampf, bei dem sich die ausgewählten Tribute wochenlang vor Kameras bis auf den Tod bekämpfen müssen, bis nur ein Sieger übrigbleibt, verleihen dem Roman eine durchaus gesellschaftspolitische Dimension. Sie sind das wohl grausamste Mittel, mit denen das Kapitol seine Überlegenheit zur Schau stellt – es tötet symbolisch die Zukunft der Distrikte und macht damit deutlich, dass es die absolute Macht innehat. Die hochmoderne Technik in der Arena, in der die Jugendlichen zur Belustigung der Kapitolbewohner kämpfen, ist dabei ein wichtiges Mittel und macht staatliche Überwachung und Kontrolle zu weiteren Themen des Romans. Die Spiele werden live übertragen und die Spielmacher können über moderne Schaltzentralen direkt Einfluss auf das Geschehen nehmen, indem sie beispielsweise Mutationen auf die Tribute loslassen. Die durchgängige Überwachung innerhalb der Arena erinnert an George Orwells „1984“, weshalb der Roman stellenweise als Zitat klassischer Dystopien gelesen werden kann.
Bei den „Tributen von Panem“ handelt es sich in erster Linie um die Geschichte einer beginnenden Rebellion, die Katniss durch verschiedene Handlungen unwissentlich in Gang setzt. Erst ihr gelingt es, die Herrschaft des Kapitols ins Wanken zu bringen und langsam einen Funken der Rebellion zu sähen, der in den folgenden Teilen zum sich ausbreitenden Feuer der Revolution wird. In Suzanne Collins Jugendroman werden Überlegungen darüber angestellt, wie sich Gesellschaften aus den Fesseln eines totalitären Systems lösen können und für welche Werte man bereits heute einstehen sollte, um eine solch düstere Zukunft abzuwenden. Durch das persönliche Schicksal der Heldin Katniss wird den LeserInnen eindeutig vor Augen geführt, dass Gesellschaft aktiv gestaltet werden muss.
Didaktische Überlegungen
Die Schwierigkeit des unterrichtlichen Einsatzes aktuell populärer Werke wie „Die Tribute von Panem“ liegt darin, dass den Lehrkräften bei der Arbeit mit beliebten Genres der Jugendliteratur der Spagat zwischen Unterhaltung auf der einen und literarischer Bildung auf der anderen Seite gelingen muss, damit die SchülerInnen nicht nur eine spannende Geschichte, sondern auch gattungs- bzw. themenspezifisches Wissen mitnehmen und eine literarische Rezeptionskompetenz entwickeln, die es ihnen erlaubt, sich kritisch mit beliebter Literatur zu befassen. So fesselnd die Geschichte auch sein mag, die Arbeit mit jugendliterarischen Dystopien wie „Die Tribute von Panem“ soll den SchülerInnen nicht nur reines Lesevergnügen bieten – auch wenn dies sicherlich ein großer Pluspunkt ist, den solche Werke mit sich bringen. Durch die thematische Bandbreite hat „Die Tribute von Panem“ großes Potenzial für den Einsatz im schulischen Unterricht. So haben bereits mehrere Verlage (darunter Cornelsen und Westermann) Unterrichtsmaterial zu Suzanne Collins Jugendroman veröffentlicht.
Die düsteren Zukunftsvisionen können durchaus dafür genutzt werden, um mit Jugendlichen über gesellschaftspolitische Themen ins Gespräch zu kommen. Es erscheint also sinnvoll, den Blick der SchülerInnen für die großen und gesamtgesellschaftlich wichtigen Themen des Romans zu schärfen, diese zu benennen und sie ggf. auch in die Tradition des Genres Dystopie zu verorten; dabei kann es sich anbieten, sich von der Perspektive der Ich-Erzählerin Katniss zu lösen und den in der Fiktion dargebotenen Gesellschaftsentwurf in seiner gesamten Problematik zu betrachten und dabei auch die Perspektive anderer Romanfiguren miteinzubeziehen, um so den kritischen Gehalt der Dystopie distanzierter und differenzierter untersuchen zu können. Sicherlich wäre auch ein Zugang über das Erleben der Protagonistin möglich. „Die Tribute von Panem“ ist für solche Betrachtungen hervorragend geeignet, weil es auf eine für Jugendliche greifbare Art aktuell erkennbare Tendenzen aufnimmt und in eine düstere Zukunft überträgt. Gleichzeitig werden immer wieder Figuren und Motive aus der römischen Antike übernommen, es bietet sich daher an, im Unterricht der Spur der intertextuellen Bezügen nachzugehen und gemeinsam mit den SchülerInnen zu entdecken, welcher Vorlagen sich die Autorin bedient.
Medien spielen in dem Roman eine zentrale Rolle und sind für SchülerInnen als lebensnahes Thema besonders relevant. „Die Tribute von Panem“ bietet ausreichend Material, um sich mit den Möglichkeiten und Gefahren moderner Medien auseinanderzusetzen: die Hungerspiele sind eine groß angelegte Inszenierung für die sensationslustigen Kapitolbewohner und werden live in ganz Panem übertragen. Katniss ist sich darüber bewusst, dass sie in der Arena dauerhaft beobachtet wird und ihre Worte mit Bedacht wählen muss. Trotzdem weiß sie die Medien für sich zu nutzen. Mithilfe ihrer Fernsehauftritte gelingt es ihr, die ZuschauerInnen auf ihre Seite zu bringen und so Sponsoren zu gewinnen, die ihr Überleben in der Arena sichern, indem sie ihr in Notsituationen mit teuren Geschenken helfen (z.B. eine Salbe, die Verletzungen im Nu heilen lässt). Auch die Liebe zu Peeta scheint sie zunächst zu spielen, damit sie dem Publikum eine gute Show bieten kann. Bei einer Beschäftigung im Unterricht können die SchülerInnen dazu angehalten werden, sich kritisch mit Medien auseinanderzusetzen und diskutieren, wie weit ihr Einfluss gehen darf. Eine fächerübergreifende Arbeit (Überschneidungen gäbe es mit Ethik/Religion, Geschichte, Politik und Latein) ist hier auf alle Fälle möglich.