Kirsten Boie: Thabo – Detektiv und Gentleman – Der Nashornfall

© Oetinger, 2016
Von Carlen Bach und Freya März

Überblick

Inhalt 

Im ersten Band der dreibändigen Kinderbuchreihe Thabo. Detektiv und Gentleman von Kirsten Boie wollen Thabo, sein Freund Sifiso und seine Freundin Emma den schrecklichen Kriminalfall, der sich in Lion Park zugetragen hat, noch vor der Polizei lösen. Während einer Safari für Tourist*innen wird ein totes Nashorn mit abgetrenntem Horn gefunden. Um die Wilderer zu schnappen, ist ein kluges Köpfchen gefragt.

Zum Glück kennt sich Thabo mit Kriminalistik aus, denn Miss Agatha, Emmas Großtante, und er schauen am liebsten Miss Marple-Filme. Während die Kinder der Wahrheit auf der Spur sind, begleiten wir Thabo in seine Welt. Der Junge, der später einmal Detektiv und Gentleman sein möchte, erzählt von seinem Leben in Lion Park, einem Nationalpark in einem Königreich im südlichen Afrika. Er erklärt uns den richtigen Umgang mit den einheimischen Tieren, was man bei einem Gewitter beachten muss, und er schildert, wie unwissend sich die Touristen in seinen Augen verhalten – so erfahren wir nebenbei einiges über die Kultur und die Umgebung, in der Thabo aufwächst.

Fachwissenschaftliche Überlegungen

Thabo erzählt von seiner Welt, die durch ihre koloniale Geschichte geprägt ist. Emmas englischstämmiger Familie gehört das Hotel Lion Lodge und sie besucht ein britisches Internat. Thabo lebt bei seinem Onkel Vusi in einer Bedienstetenunterkunft ohne fließendes Wasser. Onkel Vusi nennt sich auf Safaris für die Touristeninnen John. Für sie ist das feine Essen und der Pool reserviert, für die Touristinnen posieren die Kinder lächelnd, auch wenn sie missachtet werden.

Wir begleiten Thabo dabei, wie er in einer globalisierten und kulturell vernetzten Welt lernt, mit den Kategorien Fremdheit, Aussehen, Herkunft und Nationalität reflektierter umzugehen. Leserinnen begleiten ihn nicht nur bei den Ermittlungen nach dem Wilderer, sondern lernen verschiedene Menschen, wie beispielsweise die Touristinnen in Lion Park, aus seiner Perspektive kennen. Oft erscheint ihm das Verhalten der Touristinnen fremd; er kritisiert sie oder macht sich über ihre Unwissenheit lustig. Dadurch haben die Lesenden die Möglichkeit, das Verhalten europäischer Reisender gespiegelt zu erleben. Mitunter werden auch dominanzkulturelle Konstellationen thematisiert, wenn Thabo z.B. sagt, die Touristinnen müssen nicht noch seine Sprache lernen, weil er sie schon dafür bewundere Englisch, Französisch und Spanisch zu können. Thabo adressiert die Lesenden direkt – „meine Damen und Herren“ – und lädt sie dazu ein, seine Perspektive zu teilen und sich zu ihr zu verhalten.

Die Gruppe der Kinderdetektive verdächtigt einen asiatisch aussehenden Mann als den mutmaßlichen Wilderer. Auch später, als sie herausfinden, dass dieser Amerikaner ist, halten sie an dem Gedanken fest, dass „der Chinese“ (Mr. Wu) der Täter ist. Der Ausgang der Handlung – es stellt sich heraus, dass Mr. Wu nicht der Wilderer ist und die Kinder ihn aufgrund seiner Erscheinung vorschnell verdächtigt haben – veranlasst Thabo, seine stereotypen Sichtweisen zu revidieren. All das gilt es, kritisch zu reflektieren und kann dazu motivieren, während der Lektüre eigene Positionen zu hinterfragen. Im Anhang des Buches wird auf Kirsten Boies langjähriges Engagement in Eswatini hingewiesen, dem Land, das das reale Vorbild für das Königreich ist, in dem Thabo lebt. Auch dass Kirsten Boie als weiße Autorin aus der Sicht eines schwarzen Jungen schreibt, kann Anlass sein sich kritisch mit dem Phänomen des ‘white saviorism’ zu beschäftigen. Auch Boie selbst setzt sich reflektiert damit auseinander (siehe Vorwort zu Dayan Koduas „Odo“). In Thabo – Der Nashornfall erzählt die Autorin von komplexen Figuren und versucht Vorurteile zu hinterfragen, statt sie zu reproduzieren.

Rassismus und Postkolonialismus
Geschlechterverhältnisse
Familie
Armut
internationale Wilderei

Didaktische Überlegungen

Mit Kirsten Boies Thabo können sich Schüler*innen mit dem Thema ‚Fremdheit‘ auseinandersetzen. Dabei wird Fremdheit in Abgrenzung zu dem Vertrauten oder Eigenen verstanden und entsteht deshalb erst in der Begegnung mit ‚dem Anderen‘. Somit ist Fremdheit eine relationale Kategorie, weshalb zwangsläufig für jeden Menschen andere Dinge fremd sind. Schüler*innen können mit Thabo lernen, dass Fremdheit subjektiv ist und dass man vielfältig damit umgehen kann. Im Sinne einer Interkulturellen Literaturdidaktik ist es dabei sinnvoll, nicht von einer bereits hervorgebrachten Ordnung in ‚fremd‘ und ‚vertraut‘ auszugehen, sondern bereits bei dem Vorgang anzusetzen, durch den diese Kategorisierung entsteht: dem Befremden. Folglich geht es weniger darum, zu beschreiben oder zu bewerten, was uns an Thabo und seiner Welt fremd ist, sondern darum, zu verstehen, wie Fremdheit entsteht.

Der Roman eignet sich dafür, weil während der Rezeption viele Möglichkeiten für einen Perspektivwechsel geboten werden. Der Text inszeniert Begegnungen von Figuren mit unterschiedlicher kultureller Prägung. Weil Thabo die Rolle des Erzählers einnimmt, lernen wir als Leser*innen seine Eindrücke und Gedanken kennen, zum Beispiel in der Begegnung mit den Tourist*innen oder Emma. So entsteht durch die Erzählperspektive eine erste Perspektivübernahme der Lesenden, indem sie Thabos Sicht einnehmen. Da die Personen, denen Thabo begegnet wiederum mögliche Identifikationsmomente für die Lesenden bieten, funktionieren diese Begegnungen als Spiegel: Die Schüler*innen nehmen Thabos Sicht ein, die sich von ihrer eigenen unterscheidet und blicken dabei auf Europäer*innen. Zudem erleben Sie Thabo dabei, wie er auch seine eigenen Sichtweisen hinterfragt und Urteile revidiert. Diese Momente können in der Anschlusskommunikation genutzt werden, um eine Reflexion der eigenen Denk- und Verhaltensweisen und des eigenen Befremdens anzustoßen. Die grundlegende Interkulturelle Kompetenz, die die Schüler*innen dabei beginnen aufzubauen, ist das Einnehmen von anderen Perspektiven und ein sensiblerer Umgang mit dem Fremden. Darüber hinaus können sie in ersten Ansätzen ein dynamisches Verständnis von sozialen Deutungsmustern, wie der Fremdheit oder des Andersseins, entwickeln. Dadurch können die Lesenden auch lernen, Fremdes weniger abzuwerten.

Herausfordernd besonders für junge Leser*innen ist dabei, dass ihr bisheriges Verständnis von Fremdheit ‚auf den Kopf gestellt wird‘ und sie sich auf diese Lernerfahrung, die sie ganz persönlich betrifft, einlassen müssen. 

Da Thabo in einem afrikanischen Land lebt, und unsere Gesellschaft nach wie vor von dominanzkulturellen Strukturen geprägt ist, sollten Lehrende darauf achten, Thabos Lebenswelt so zu thematisieren, dass nicht mögliches (Mit-)Leid im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht. Das Ziel für Lehrende besteht darin, eigene dominanzkulturelle Sichtweisen zu reflektieren und eine Kommunikation auf Augenhöhe anzustreben.


Leitfrage:  Was ist Fremdheit? / Wie entsteht Fremdheit?

Die Idee: Die Schüler*innen untersuchen anhand des Textes, was Thabo als befremdlich empfindet und vergleichen das mit ihrer eigenen Wahrnehmung. Außerdem untersuchen sie, was sie an Thabo als befremdlich empfinden. Anschließend folgt eine Reflexion dessen, was Thabo und die Lernenden als fremd wahrnehmen und warum. Vertiefend erarbeitet man daran, dass Fremdheit eine Kategorie ist, die durch das Befremden entsteht und die somit relational und subjektiv ist.

Geforderte / geförderte Kompetenzen:  Die Lernenden verstehen, dass Fremdheit keine festgesetzte Eigenschaft ist, sondern immer subjektiv durch die Bewertung des/der Betrachter*in entsteht. -> Perspektivübernahme, Reflexion

Arbeitsform: Erarbeitung: Einzelarbeit, Textarbeit;
Vertiefung: Unterrichtsgespräch

Benötigte Medien / Material:  Textstellen aus Thabo (Begegnungen mit den Tourist*innen, z.B. S. 22, 24, 128; Thabo und England, z.B. S. 55, 60, 102 f.; Begegnungen mit Emma, z.B. S. 83, 90; mögliche Befremdungsmomente gegenüber Thabo, z.B. S. 39, 62, 227 (Rollenbilder), 55 (Thabos Wissen über die Tiere seiner Heimat).

Aufgabe:
Erarbeitungsphase: Beschreibt anhand der Textstellen was Thabo befremdlich findet (an Emma und den Tourist*innen). Befremdet euch das auch?

Beschreibt anhand der weiteren Textstellen, ob und was ihr an Thabo befremdlich findet.

Vertiefung: Warum ist das so? Was lernen wir daraus über ‚Fremdheit‘?

Einige der genannten Textstellen werden im Folgenden vorgelesen und anschließend kurz in mögliche Lernkontexte eingeordnet:

Thabo und die Tourist*innen (Textauszug S. 128)
Thabo und England (Textauszug S. 85)
Thabo und Emma 1 (Textauszug S. 83)
Thabo und Emma 2 (Textauszug Seite 90)
Möglicher Befremdungsmoment gegenüber Thabo (Textauszug S. 55)

Eine weitere mögliche Herangehensweise an den Text wäre das Fokussieren auf den Kriminalfall. Thabo, Emma und Sifiso verdächtigen einen asiatisch aussehenden Mann („Der Chinese“) als den Wilderer. Sie sammeln dabei zahlreiche Indizien, die ihren Verdacht vermeintlich bestätigen und lassen sich von Vorurteilen beeinflussen, die ihr Urteilsvermögen trüben. Die gemeinsame Lektüre und Aufbereitung des Spannungsbogens zeigt zum einen die Lösung des Falls und dabei gleichzeitig die Wirkmacht von (rassistischen) Vorurteilen. Somit bietet die Lektüre die Chance, den eigenen Umgang mit Vorurteilen zu reflektieren. Auch kann dabei die Bedeutung von Vorurteilen für rassistisches Denken und Handeln zur Sprache kommen, wie es auch im Buch – durch Miss Agatha – der Fall ist.

Kirsten Boie: Thabo – Detektiv und Gentleman – Der Nashornfall, illustriert von Maja Bohn. Oetinger 2016.

Verlagsseite und Leseprobe („Blick ins Buch“):
https://www.oetinger.de/buch/thabo-detektiv-gentleman-1-der-nashorn-fall/9783789120336


Zielgruppe:
ab 10 Jahre / 5.-7. Klasse


LIX:
im Bereich von 30 – einfach

Was es noch von Thabo zu lesen und zu hören gibt:

  • Band 2: Thabo – Detektiv und Gentleman – Die Krokodil-Spur.
  • Band 3: Thabo – Detektiv und Gentleman – Der Rinder-Dieb.
  • Erstlesereihe „Thabo und Emma“, die für Lesestarter bzw. Kinder ab 8 Jahren geeignet ist.
  • Hörspiel-Adaptionen

Unterrichtsmaterialien:
https://oetinger.de/buch/thabo-detektiv-gentleman-1-der-nashorn-fall/9783841581020

Sekundärliteratur: